Wenn der Filmemacher stirbt.

Als der Dokumentarfilmer Stefan Eisenburger ganz plötzlich und unerwartet verunglückte, waren die Dreharbeiten seines Films „Erich und Schmitte“ noch nicht vollendet. Was tun wenn der Filmemacher stirbt? Was geschieht mit dem Material? Darf man das Fragmentarische anfassen und weitererzählen?

Zusammen mit den Filmeditorinnen Carina Mergens („Erich und Schmitte“) und Monika Willi („Untitled“) sind wir diesen Fragen nachgegangen. Beide vereint die Erfahrung, einen Film fertiggestellt zu haben, nachdem der Regisseur überraschend gestorben war. Während neben Carina Mergens die befreundeten Regisseurinnen Janina Jung und Hannah Dörr den fertigen Film mitverantworteten, übernahm Monika Willi nach dem Tod von Michael Glawogger selbst die Rolle der Regie. Aus der Gegenüberstellung dieser zwei getrennt-geführten Interviews entsteht ein Dialog, der so nicht stattgefunden hat, der aber so hätte stattfinden können.

 

Mit diesem Diskurs suchen wir mögliche Antworten auf viele dieser Fragen. Doch ganz besonders drücken wir damit unsere Liebe und Wertschätzung für unseren Freund und Dokomotive Kollektivmitglied aus.

 


 

Carina Mergens:  In „Erich und Schmitte“ geht es um den 86 jährigen Erich und den 15 Jahre jüngeren Schmitte, die seit vielen Jahren im selben Schwimmverein schwimmen. Es geht um diese Männerfreundschaft, um den Tod, um die Lust am Leben und es geht vor allem auch darum, wie man im hohen Alter noch ein Leistungssport betreiben kann. Während Stefan den Film gedreht hat, – ungefähr 80% dessen, was er hat drehen wollen, waren abgedreht – ist er bei einem Badeunfall ums Leben gekommen. Und dann stellte sich die Frage, was passiert jetzt? Also, was macht man mit diesem Material? Was macht man mit dieser angefangenen Arbeit? Führt man sie fort? Oder eben nicht?

Monika WilliJa, „Untitled“ vorzustellen bedeutet immer auf die Umstände hinzuweisen: ich bin ja nicht…, ich bin Ko-Direktorin von diesem Film, oder als Ko-Direktorin ausgewiesen, weil ich nach dem Tod von Michael Glawogger einen Film aus dem entstandenem Material kreieren wollte.

Ich habe mit ihm zum ersten Mal 1998 für „Frankreich, wir kommen“ zusammengearbeitet und hatte das grosse Glück, dann noch 18 Jahren mit ihm arbeiten zu dürfen.

C.M.: Die Idee weiter zu machen oder der Entschluss dazu, kam dadurch, dass Eltern und Freunde auf uns zugekommen sind und gesagt haben: „Das war so ein grosser Teil von Stefans Leben, dieses Projekt, die Freundschaft mit den Männern, es war ihm so wichtig. Das geht nicht, dass das jetzt einfach da liegt und nichts damit passiert. Also, wollt ihr den Film weitermachen?“ Sowohl die Produktion wie auch ich, waren damals schon im Boot.

M.W.: Michael hatte sich vorgenommen, ein Jahr lang um die Welt zu fahren, um ohne ein Thema, ohne einen roten Faden außer seiner eigenen Neugier und Intuition, einen Film zu machen. Er war sonst ein minutiöser Vorbereiter und hat immer viel recherchiert. Diesmal hat er sich für eine ganz, ganz andere Arbeitsweise entschieden: sie sind ohne Vorbereitung am 3. Dezember 2013 an seinem 54 Geburtstag einfach aufgebrochen. Sie konnten vier Monate und 19 Tage drehen, am Balkan, in Italien und in Nordwest- und West-Afrika und dort verstarb Michael innerhalb von 3 Tagen an Malaria. Es war eine Fehldiagnose und auch eine sehr aggressive Form von Malaria und ja…

 

Da war natürlich lange Zeit nichts außer Stille und Shock. Da ich aber mit diesem ganzen Material über so lange Zeit schon gelebt habe und immer die angedachte Editorin war, habe ich mir gedacht: Ich muss das irgendwie machen, ich will es machen. Ich habe bei diesem Film zum ersten mal erfahren, was es bedeutet, wenn man etwas machen muss. Also das ist dann keine Frage… Es war mir einfach sehr wichtig und habe die Produktionsfirma und seine Frau gefragt und sie haben es mir quasi genehmigt. Wir sind dann neu in die Förderung gegangen und haben es mit mir als 2. Regisseurin gemacht.

C.M.: Stefan war selbst so ein wichtiger Teil in dieser Männerfreundscahft, der war der dritte im Bunde. Der war im Material so präsent, man hat ihn immer gespürt. Er hat auch hinter der Kamera mit den beiden ständig interagiert. Seine Stimme hörst du ja ganz häufig, die beide sprechen ihn ständig an: „Stefan hier, Stefan da, guck mal das, guck mal dies“. Man konnte nicht einfach ignorieren, dass er nicht mehr da ist. Die Konsequenz daraus war es: wir müssen erzählen, wie gehen die Beiden mit Stefans Tod um… Das hat eine Weile gedauert, bis wir dahin kamen, dass wir gemerkt haben, das können wir nicht ignorieren, das müssen wir erzählen. Die große Frage war bloss, wie erzählen wir das?

M.W.: Das erste Bild von „Untitled“ ist ein Bild, dass es so niemals in einen Film von Michael Glawogger geschafft hätte. Es ist unscharf, verwackelt, es wird geschrien, man sieht das Kamerateam. Laute Sachen, die er nie gezeigt hätte. Jetzt ist das ein Anfangsbild, das einfach so eine dermaßen starke Metapher ist, für alles was dann kommt. Und wir hören seine Stimme – auch ein Mittel, dass er nie erlaubt hätte. Und diese Dinge, die sozusagen in einer anderen Situation unmöglich wären, sind dann plötzlich wie ein Geschenk. Vor allem deshalb, weil ich immer zum Beginn des Filmes die Tatsachen, sozusagen die Facts, kommunizieren wollte. Also der Tod sollte nicht am Ende stehen. Es musste immer klar sein: das ist ein Film, der nach dem Tod entstanden ist.

C.M.: Im Schnitt war die grösste Schwierigkeit, wie schaffen wir das: aus dieser Trauer, aus diesem Schock wieder raus zu kommen, zurück ins Leben. Wie lange erzählen wir die Trauer und wie kommen wir Stück für Stück wieder raus, so dass wir sehen, das Leben geht weiter. Das Leben geht für Erich und Schmitte weiter, das Leben geht für alle anderen weiter – Stefan ist nicht vergessen, aber das Leben geht weiter. Und da die richtige Länge zu finden, die richtige Nuancen, dass es am Ende nicht ein Film über Stefan wird… Stefan war zwar der dritte im Bunde aber letztendlich sind Erich und Schmitte die Protagonisten, also ging es um deren Emotionen. Das war für uns ein guter Wegweiser, um den Film fertig zu stellen. Dass Stefan gestorben ist, habe ich während des Schnittprozesses sehr, sehr häufig einfach verdrängt. Ich habe einfach gemacht, ich hab… Das Material hat mich emotional sehr berührt, aber nicht nur wegen Stefans Tod sondern, weil die Beiden einfach emotionale Menschen sind und das Material einfach sehr emotional ist. Ich hab’s verdrängt, ich hab’s die ganze Zeit verdrängt.

M.W.: Die Frage, ob man irgendwas macht, wie der Andere es gemacht hätte, die ist nicht zu beantworten. Ja, ich habe damit begonnen, es so machen zu wollen, wie es Michael es gemacht hätte. Das ist aber vor allem bei diesem Projekt eine vollkommen absurde und überflüssige Frage gewesen. Wir haben, glaube ich, sechs Lang- und Kurzfilmen miteinander gemacht, dann glaubt man immer, dass man weiß, wie er es denn so macht. Das stimmt aber nicht. Dieser Unterschied zwischen einer theoretischen Analyse dessen, was Menschen sehen, wie jemand Filme macht und dem, wie eine Film entsteht, das sind zwei paar Schuhe.

Es war eine lange Zeit bis ich wirklich damit angefangen habe daran zu arbeiten. Dann war es für mich doch sehr erstaunlich, wie groß dieser Unterschied ist: einfach nur für mich als Editorin zu agieren, wenn ich nur schneide, oder wenn ich die letzte Verantwortung habe. Es ist etwas woran man irgendwie glaubt, sich einstellen zu können und worüber man aber letztlich gar keine Ahnung hat.

C.M.: Was das alles eigentlich bedeutet, das habe ich erst verstanden, als der Film fertig war und auf einer grossen Leinwand lief. Als wir den Film vor Publikum gezeigt haben und wir erklären mussten, was da alles passiert ist und wie und…

Ich glaube erst da, ist es alles reingesunken, als wir beim Max-Ophüls liefen und Stefan nicht da sein konnte. Da ist es mir wirklich erst aufgegangen. Da habe ich das auch emotional verstanden, dass Stefan nicht mehr da ist. Da habe ich verstanden, was das eigentlich bedeutet, dass er seinen Film jetzt hier nicht vorstellen kann, sondern wir das an seiner Stelle tun.

M.W.: Ich bin mit diesem Film seit der Berlinale 2017 gereist. Jede einzelne Vorführung und jedes Q&A oder Gespräch ist ein emotionaler Kraftakt, immer wieder. Egal von welcher Seite es man jetzt sieht. Weil man immer über den Tod spricht, über den großen Tod, und weil man sich dabei ein bißchen verliert. Oder ich habe mich dabei verloren, was grundsätzlich jetzt auch nichts tragisches wäre, wo man nur irgendwann aufpassen muss, dass es nicht zu viel wird. Jedes Mal wenn man diesen Film in einem Screening zeigt, entstehen viele starke Emotionen und das muss man alles verhandeln: Die Frage, hätte er es so gemacht? Die Frage, ist es so gut? (Pause)

Man merkt, es hört nicht auf. Der Druck von unten zieht einen wieder rein. Schrecklich…. Es kommt da irgendwas von hinten…., obwohl man dachte, das hätte man jetzt wirklich im Griff…

 


Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich bei Carina Mergens und Monika Willi, die bereit waren mit uns ihre Emotionen und Gedanken zu teilen.